Der Karatesport erfordert mehr Schnelligkeit als Kraft

Zeitungsbericht Der Neue Tag:

Bei einem Lehrgang in der Turnhalle der Ostmark-Kaserne will der Cheftrainer für Westeuropa. der Japaner Hirokazu Kanazawa (rechts), den Teilnehmern aus ganz Bayern die Feinheiten des Karate beibringen. Täglich wird vier Stunden hart trainiert, folgen doch am Wochenende im Au-gustiner-Seminar die Gürtelprüfungen und die Bayerischen Meisterschaften. Bild: Bonkoß

Gespannt lauschen die Teilnehmer am Lehrgang den Ausführungen des Japanischen Cheftrainers. Mit praktischen Beispielen erläutert er, daß es beim Karatesport nicht in erster Linie auf Kraft, sondern auf Schnelligkeit ankommt.

 

Der Durchschnittsbürger denkt bei dem Begriff „Karate“ sogleich an die Ziegel- und Holzplattenzertrümmerer, die er aus Wochenschau und Fernsehen kennt. Daß diese Sportart im Grunde genommen mit reiner Körperkraft nichts zu tun hat, sondern einer Geisteshaltung entspricht, ist, weithin unbekannt. Nie wird ein echter Karatekämpfer seinen Gegner verletzen wollen. Die Schläge, die eine tödliche Wirkung haben können, werden nur angedeutet. Karate wurde lange Zeit vor Christi Geburt in Indien entwicicelt und diente als eine Übung zur Meditation. Bei den Religionen Asiens, die auf Friedfertigkeit und Toleranz höchsten Wert legen, konnte es nicht das Ziel sein zu töten. Von Indien wurde Karate in seiner arsprüiaglichsten Form über Tibet nach China „exportiert“. Hier entstand die Eigenschaft der Selbstverteidigung, die bei den Wechselbeziehungen zwischen China und Ja-pan schließlich nach Okinawa gelangte. Dort wurde der Sport vervollkommnet und physikalischen Gesetzen untergeordnet. Durch Gi-chin Funakoshi wurde Karate schließlich nach dem Ersten Weltkrieg in ganz Japan. verbrei-tet. Karate unterscheidet sich eindeutig von Ju-do, wo es darum geht. das Gleichgewicht des Gegners zu brechen, ihn zu Fall zu bringen und durch Würge- oder Haltegriffe zu be-zwingen. Der Karatekämpfer muß Stoß- und Schlagtechniken beherrschen, die streng nadelt einem bestimmten Reglement festgelegt sind. Dazu gehört ein sehr hartes Training. Am kommenden Wochenende führt der Landesverband Bayern, der im Dezember 1968 gegründet wurde, seine Landesmeisterschaften im Augustiner-Seminar in Weiden durch. Diese Veranstaltung ist das erste Auf-treten in der breiten Öffentlichkeit. Es wer-den vier Bayerische Meister gekürt. In der Oberstufe, ab Braungurt, werden je ein Meister im Kampf und im „Kate“, wobei auf die Bewegungsabläufe, die Atmung und den rich-tigen Einsatz der Muskeln geachtet wird, ermittelt. Unter leichteren Bedingungen treten die Inhaber der Gurte „Grün“ und „Violett“, die der Mittelstufe angehören, an. Sie müssen ebenfalls „Kate“ zeigen. Außerdem wird der Meistertitel in den Selbstverteidigungsübun-gen vergeben. Cheftrainer leitet Lehrgang Zu dieser Großveranstaltung in Weiden, wo die Karate-Abteilung beim TB im Herbst 1967 gegründet wurde, ist kein Geringerer er-schienen als der Cheftrainer für Westeuropa, der Japaner Hirokazu Kanazawa, der den 6. Dan besitzt. Er führt bis Samstag täglich ei-nen Lehrgang durch, in dem die Karatekämp-fer, die aus ganz Bayern nach Weiden gekom-men sind, ihre Kenntnisse vervollkommnen können. Täglich arbeitet der Cheftrainer mit seinen „Schützlingen“ in der Ostmark-Kaserne vier Stunden. Den-jüngsten Teilnehmer mit 14 Jahren kommt aus Nürnberg. Mit 52 Jahren ist sein Vater der älteste. Zum Wochenen-de werden 100 Teilnehmer erwartet. Mancher Tropfen Schweiß wird vergossen, wenn der Japaner die Teilnehmer „rannimmt“.
Interview mit Hirokazu Kanazawa Bei der Besichtigung der Kampfstätte im Augustiner-Seminar gewährte uns Hirokazu Kanazawa ein Interview. Er wurde am 3. 5. 1931 in ‚wate geboren und besuchte in Tokio die Universität, an der er sich zum Diplom-Kaufmann und Betriebswirt ausbilden ließ. Bis zu seinem 18. Lebensjahr hatte er sich dem Judo verschrieben, wo er es zum 2. Dan brachte.
An der Universität erlernte er Karate zu-nächst im „Selbststudium“. 1956 schloß der Japaner seine Studien an der Universität ab
und widmete sich von da an nur noch dem Karatesport, in dem er es zu höchsten Fähig-keiten brachte. Deshalb wurde er 1961 nach,, Hawaii berufen. Hier baute er die Organisation dieser Sportart auf. Er kehrte in seine; Heimat zurück. 1964 forderte England einen, Trainer an, und die oberste Behörde für den.), Karatesport, die „Japan-Karate-Association“ (JKA), sandte ihn nach Großbritannien. Seinen ersten Lehrgang leitete er aber 1n Bad Godesberg. Bald bildeten sich in Westeuropa weitere Karateverbände in den ein-zelnen Ländern. So wurde H. Kanazawa schließlich Cheftrainer für Westeuropa mit Ausnahme von Italien, das sieh einen eigenen Trainer aus Japan holte. „Mein Haupttätig-keitsfeld ist aber die Bundesrepublik und England“, sagt der Japaner. Vor seinem Lehr-gang in Weiden hat er einen in Freiburg ab-gehalten. Wie uns versichert wurde, ist dieser tüchtige Mann fast immer „ausgebucht“, da sich nach ihm alle Verbände „reißen“. Bayern milsaen noch viel lernen Auf seine Erfahrungen beim ersten Training am Mittwochvormittag in der Kaserne ange-sprochen, zu dem fast 50 Karatekämpfer erschienen waren, sagte der Japaner: „Die Bayern sind körperlich sehr stark, doch müssen sie viel mehr die Beweglichkeit des Unterkör-pers üben und die Atmung beachten“. Doch bescheinigt er den Bayern, daß sie Karate recht gut beherrschen. „Es muß aber die geistige Konzentration auf die einzelnen Techniken noch mehr ausgebildet werden. Diese ist unumgänglich, um einen höheren Dan zu er-. reichen“. Wenn man die Männer in der Turnhalle der Kaserne schwitzen sieht, drängt sich die.Fra-ge auf, wie lange der Lehrgangsleiter täglich trainiert. „Eine halbe Stunde!“ Wie uns aber Karatekämpfer sagen, bedeutet diese kurze Zeit für ihn soviel Mühe wie für sie drei Stunden Training bis an die Grenze der Leistungsfähigkeit. „Kraft ist bei diesem Sport nicht das Wichtigste“, klärt H. Kanazawa auf, „besonders kommt es auf die Schnelligkeit an und darauf, die Kraft auf einen Punkt zu konzentrieren.“ Der Japaner fährt schnellen Sportwagen Auf Schnelligkeit ist auch das gesamte Trai-ning ausgerichtet. Es werden keine Muskel-männer gezüchtet, die — wie man versicherte — relativ langsam sind. „Diese können es mit keinem Karatemann aufnehmen“. Neben Karate kennt Hirokazu Kanazawa nur ein Hobby, schnelle Sportwagen fahren. Er be-; sitzt einen englischen „Marcus“, eine Sonder anfertigung, bei der der normale Motor be-reits über 200 km Spitze erreicht.


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